Pressemitteilung -
Opportunismus – «zur Rettung des Bodens» >>> Studie ‹Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit›
Goetheanum, Dornach, Schweiz, 2. September 2024
Die Studie ‹Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit› stellt dar, wie eng die Verbindung zwischen biodynamischer Bewegung und Nationalsozialismus in Deutschland war, ohne dass zentrale nationalsozialistische Ideologeme wie Antisemitismus aufgenommen wurden.
Die biodynamische Bewegung hat sich «in die komplexe Struktur des sich überlappenden NS-Partei- und Staatssystems integriert». Das ist ein Ergebnis der Studie von Jens Ebert, Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel. Der promovierte Publizist und Buchautor, die promovierte Historikerin und die studierte Landschaftsplanerin haben seit 2020 Dokumente gesichtet, darunter 10 000 Seiten aus dem nationalsozialistischen Apparat sowie Akten aus Ministerien – Materialien aus insgesamt mehr als 30 Archiven und Nachlässen. Das Studienteam zeichnet auf dieser breiten Quellengrundlage die komplexe Geschichte der biodynamischen Bewegung mit differenzierenden Nuancen bei klaren Feststellungen nach.
Statt sich selbst aufzulösen, entschieden sich die Mitglieder der biodynamischen Verbände für die Gleichschaltung, die schließlich zur Gründung des ‹Reichsverbands für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Landwirtschaft und Gartenbau› führte. Seit 1934 gab es – im Schutz unter anderem von Rudolf Hess – immer wieder institutionelle Verknüpfungen zwischen biodynamischer Bewegung und Nationalsozialismus. Gleichzeitig gab es Machtkämpfe innerhalb des nationalsozialstischen Apparats um Förderung beziehungsweise Verhinderung oder Verbot der biodynamischen Landwirtschaft. Zudem war ihre chemiekritische Ausrichtung der Agrarindustrie, darunter die I.G. Farben, ein Dorn im Auge; zudem kann Stickstoff als Dünger und für Sprengstoff verwendet werden. Mit dem Flug von Rudolf Hess nach Großbritannien 1941 und seiner Verhaftung dort war der Machtkampf entschieden: Die Gestapo löste den ‹Reichsverband› auf. Dennoch kam es infolge des Interesses von Heinrich Himmler zur Kollaboration einzelner Biodynamiker beim Betreiben von Anbauflächen in Konzentrationslagern wie Dachau, Ravensbrück und Mauthausen sowie in einem ukrainischen Versuchsgut in Wertingen.
Die Handlungsweisen der prägenden Protagonisten stellt das Studienteam differenziert ins Spannungsfeld zwischen Anpassung und Bemühen um den Erhalt der biodynamischen Wirksamkeit. So blieb Erhard Bartsch, führender Kopf des Reichsverbands, «in erster Linie überzeugter Anthroposoph», «vertrat keine antisemitischen Positionen», unterstützte aber «den nationalsozialistischen Staat und verehrte die ‹Persönlichkeit› Adolf Hitlers». Das Studienteam deutet sein und das Verhalten innerhalb der biodynamischen Bewegung so: «Der Opportunismus der Biodynamiker speiste sich überwiegend aus ihrer Mission zur Rettung des Bodens und dem Willen, der Wirtschaftsweise als Idee und in der Praxis zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen.» Das Team hält fest, dass es in biodynamischen Schriften und Publikationen auf keine Zustimmung zu Antisemitismus, Rassismus und Chauvinismus sowie zur Vernichtung sogenannten ‹unwerten› Lebens gestoßen sei; auch haben nicht alle Mitglieder dem Weg des biodynamischen Reichsverbands zugestimmt.
«Wir wissen nun im Detail, wie stark sich die biodynamische Bewegung auf den Nationalsozialismus in Deutschland eingelassen hat», hält Ueli Hurter, Ko-Leiter der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum, fest. Er ergänzt: «Wir tragen als heutige Biodynamiker eine umso größere Verantwortung für die Würde des Menschen. Wir haben 2020 in einer Stellungnahme festgehalten: ‹Die biodynamische Bewegung steht für Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Pluralismus und Kosmopolitismus und distanziert sich klar von Extremismus und menschenfeindlichen Bestrebungen.›»
Auftraggeber der Studie sind die Vereine Demeter Deutschland und Biodynamic Federation Demeter International sowie die Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum; finanziert haben die Studie die Auftraggeber sowie die Software-AG-Stiftung, die Stiftung Edith Maryon und der Rudolf-Steiner-Fonds.
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Studie Jens Ebert, Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel: Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit. Akteure, Verbindungen, Haltungen, Metropol-Verlag, Berlin 2024
Ansprechpartnerin Anna Storchenegger
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